SCHULE – DIE GROSSE CHANCE FÜR DEN KINDERSCHUTZ
Bildungseinrichtungen nehmen für die Entwicklung von Konzepten zum Schutz vor sexueller Gewalt die zentrale Stellung ein. Schule hat neben dem Bildungsauftrag einen eigenen Erziehungsauftrag, und der Schutz vor sexueller Gewalt ist Teil dieses Erziehungsauftrags. Ein schulisches Schutzkonzept soll nicht nur Missbrauch in der Schule verhindern, sondern insbesondere dafür sorgen, dass Schülerinnen und Schüler, die andernorts sexuellen Missbrauch oder Übergriffe erleiden, hier ein kompetentes, verstehendes und helfendes Gegenüber finden. Da nahezu alle Kinder und Jugendliche über einen langen Zeitraum ihrer Kindheit und Jugend Schulen besuchen, ist die Chance, dass betroffene Mädchen und Jungen dort Hilfe erhalten können, größer, als an jedem anderen Ort, jeder anderen Einrichtung oder Organisation. Nirgends gibt es einen durchgängigeren Zugang zu Kindern und Jugendlichen als im Unterricht und pädagogischen Alltag von Schule. Lehrkräfte und andere Pädagoginnen und Pädagogen in Schulen haben viele Möglichkeiten, Veränderungen ihrer Schülerinnen und Schüler zu bemerken, Gefährdungen und Belastungen zu erkennen und ihnen Unterstützung anzubieten. Aber es geht auch um sogenannte Primärprävention, also die Möglichkeit durch Stärkung des Selbstwertgefühls und Aufklärung über Missbrauch Schülerinnen und Schüler vor sexueller Gewalt zu schützen.
Und noch ein weiterer Aspekt unterstreicht die Bedeutung von Schutzkonzepten in Schulen: Erfolgreiche Bildung und Kinderschutz sind untrennbar miteinander verknüpft. Mädchen und Jungen, die sexuelle oder andere Gewalt erleben, tragen ein hohes Risiko für schulischen Misserfolg und in der Folge für berufliches Scheitern. Aus diesem Grund gilt aktiver Kinderschutz gerade in Schulen als handlungsleitend.
SCHUTZKONZEPTE GEBEN HANDLUNGSSICHERHEIT
Sexuelle Gewalt hat viele Gesichter – nicht nur Erwachsene können die körperlichen und sexuellen Grenzen von Schülerinnen und Schülern überschreiten. Auch sexuelle Gewalt durch Mitschüler und Mitschülerinnen gilt es zu verhindern. Hierbei ist ein besonderes Augenmerk auf Präventionsmaßnahmen zur richten, die sich auf die Risiken durch die digitalen Medien beziehen. Schutzkonzepte bieten schulischen Beschäftigten hier die notwendige Handlungssicherheit.
INTERNATE – BILDUNGS- UND LEBENSORTE ZUGLEICH
Für Internate lassen sich die Ziele und Herausforderungen von Schutzkonzepten ähnlich skizzieren wie für Schulen, sie weisen aber auch Ähnlichkeiten mit dem Bereich „Heime und betreute Wohnformen“ auf. Sie können Orte des Helfens sein, aber auch Orte, an denen sexuelle Gewalt stattfindet. Schutzkonzepte in Internaten müssen immer der Tatsache Rechnung tragen, dass der Lebensmittelpunkt Familie zugunsten des Internats in den Hintergrund getreten ist, so dass Internate bei sexueller Gewalt die potentiell helfenden Eltern ersetzen müssen. Schutzkonzepte in Internaten müssen aber auch berücksichtigen, dass der Bildungsort Schule mit dem Wohnort Internat (meist) so nah verbunden ist, dass beide als Einheit, manchmal auch als eigener Kosmos, der von der Außenwelt abgeschlossen ist, erlebt werden können. Für Mädchen und Jungen, die im Rahmen von Schule bzw. Internat sexueller Gewalt ausgesetzt sind, ist es wichtig, dass der Interventionsplan im Schutzkonzept Vorgehensweisen beschreibt, die verhindern, dass diese Gewalt nicht als absolut und unausweichlich erlebt wird.
EINE FRAGE DER PERSPEKTIVE UND DER UNTERSTÜTZUNG
Bei der Vielfalt der Aufgaben und Verpflichtungen der Schulen kann die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von Schutzkonzepten als Überforderung gesehen werden. Aber die meisten Schulen merken schon nach der ersten Beschäftigung mit dem Thema, dass sie nicht ganz von vorne anfangen müssen, sondern längst präventive Strukturen entwickelt haben, sei es im Schulprogramm, in anderen Konzepten wie beispielsweise zum Thema Sucht, Mobbing, Peer-to-peer-Gewalt oder Gewalt durch die digitalen Medien, Rassismus oder im gelebten Schulalltag, auf die das Schutzkonzept aufgesetzt werden kann. Zudem muss diese Arbeit nicht allein bewältigt werden. Neben Fachberatungsstellen stehen auch die schulberatenden Dienste, wie der schulpsychologische Dienst oder die für Qualitätsentwicklungsprozesse zuständigen Stellen der Schulämter, mit ihrem Wissen und Erfahrungen zur Verfügung.
INITIATIVE „SCHULE GEGEN SEXUELLE GEWALT“
Angesichts der großen Bedeutung von Schulen für den Schutz vor sexueller Gewalt setzt die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs hier einen Arbeitsschwerpunkt. Gemeinsam mit den Kultusbehörden der Länder wurde die Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ entwickelt, um die mehr als 30.000 allgemeinbildenden Schulen in Deutschland zur Entwicklung von Konzepten zum Schutz vor sexueller Gewalt zu motivieren. Mit Schutzkonzepten werden Schulen zu Orten, an denen betroffene Schülerinnen und Schüler Hilfe finden und an denen Missbrauch selbst keinen Raum hat. Die Initiative bietet Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrern sowie pädagogischem Fachpersonal Materialien, die gemeinsam mit Kultusbehörden und Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis erarbeitet wurden und auf dem Fachportal www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de zugänglich sind. In Kooperation mit den Bundesländern ist die Initiative 2016 mit dem Ziel gestartet, bundesweit durch Maßnahmen zur Aufklärung und Motivation von Schulen und ihren Unterstützungsstrukturen die flächendeckende Einführung von Schutzkonzepten an allen Schulen umzusetzen. Inzwischen haben mehrere Bundesländer eine Verpflichtung zur Schutzkonzeptentwicklung in Schulen gesetzlich verankert.